Biografie

Johann Heinrich Tobler wurde als ein Sohn von Hans Jakob Tobler, Metzger und Landweibel, und Ursula Tanner am 14. Januar 1777 in Trogen geboren. Bereits 1779 starb der Vater, die Mutter führte die Metzgerei während etwa zwei Jahren und heiratete dann den Taubenwirt Mathias Eugster auf der Vögelinsegg. So kam Tobler nach Speicher. Die Kindheit und Jugendjahre des jungen Johann Heinrich waren sehr entbehrungsreich: Er wurde an seinen Schwager verdingt und hatte 6 Jahre lang zu spulen und zu weben, wohl neben der Grundschule. Tobler hegte in dieser Zeit den Wunsch, Pfarrer zu werden. Später übersiedelte er zu seinem gleichnamigen Onkel und Paten, Pfarrer Tobler in Rebstein, um dort besser Lesen und Schreiben und etwas Latein zu lernen. Die einjährige „Weberlehre“ – nach seinem Aufenthalt in Rebstein beim Onkel – im Jahre 1788 bei B. Schirmer in Trogen hat er bereits mit 14 Jahren abgeschlossen. Im Jahre 1791 lernte Tobler das Modelstechen in Herisau, um ab 1792 in Speicher diesen Beruf für sechs Jahre auszuüben. Ab etwa diesem Zeitpunkt begann er sich auch zunehmend mit Gesang und Musik sowie Poesie und Prosa auseinanderzusetzen.

Johann Heinrich Tobler, Öl auf Leinwand, 65 x 53 cm (Ausschnitt), ca. 1835 (Kantonsbibliothek Appenzell Ausserrhoden, KB-014484)

Tobler übte später noch andere Berufe aus: So war er von 1798 bis 1803 Sekretär des Distriktgerichts Teufen und von 1803 bis 1816 Landschreiber. 1816 wurde er als Landsfähnrich in die Regierung gewählt, ersuchte aber bereits nach einem Jahr um Entlassung aus dem Amt, weil er es sich aus wirtschaftlichen Gründen nicht leisten konnte. Mit Gabriel Rüsch initiierte er 1823 die erste kantonale Privat-Brandversicherungsanstalt, deren Buchhalter er bis 1837 war. Ebenfalls zusammen mit Gabriel Rüsch gründete er 1820 die älteste noch heute existierende Ausserrhoder Lesegesellschaft mit dem Namen Sonnengesellschaft Speicher. Diese präsidierte er von 1825 bis 1827 und ab 1835 bis 1837. Darüber hinaus pflegte er eine rege Vortragstätigkeit: Fast 60 Vorträge sind in den Akten der Sonnengesellschaft registriert! Ab 1819 gehörte er der St. Galler Singgesellschaft zum Antlitz an. Im Jahr 1824 war er Gründungsmitglied des Appenzellischen Sängervereins und 1832 der Appenzellischen Gemeinnützigen Gesellschaft.
Tobler war zweimal verheiratet. Im Jahr 1803 heiratete er Ursula Lerchenmeyer, Tochter des Andreas Lerchenmeyer, Stallknecht. Sie starb aber bereits 1818 im 40. Altersjahr. Vier Kinder aus erster Ehe und ein Sohn aus der zweiten Ehe mit Anna Katharina Lindenmann, Tochter von Johannes Lindenmann, Landschreiber, überlebten das Kindesalter. Am 16. Februar 1838 verstarb Tobler 60-jährig in Speicher.

Bekannt wurde Johann Heinrich Tobler vor allem als Komponist, Herausgeber von Liedersammlungen, Publizist und Dichter. Die Tonsetzkunst eignete sich Tobler autodidaktisch an. Johann Heinrich Tobler komponierte zahlreiche Gesellschaftslieder (Trinklieder, Heimatlieder, Soldatenlieder) aber auch geistliche Werke, die er teilweise im Selbstverlag drucken liess. Tobler förderte den Volksgesang und verstand ihn, ähnlich wie sein Vorbild Hans Georg Nägeli (1773-1836), als «sittlich bildend».

 

Das appenzellische Chorleben anfangs des 19. Jahrhunderts

Zu allen Zeiten wurde im Appenzellerland viel gesungen: Zur Arbeit, in der Schule und am Feierabend. Aber erst anfangs des 19. Jahrhunderts gab es im Zuge von Vereinsgründungen und zahlreichen Sängerfesten einen kulturellen Aufschwung des Volksgesangs. Das erste schweizerische Sängerfest überhaupt fand 1825 auf Vögelinsegg statt, Tobler war dessen „Direktor“. Ein wichtiger Förderer und der eigentliche Schöpfer des vierstimmigen Männergesanges stellt Hans Georg Nägeli (1773-1836) dar.

Die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts war eine politisch unruhige Zeit: Die Zwistigkeiten zwischen Konservativen und Liberalen gipfelten im Sonderbundskrieg, und im Jahre 1848 folgte die Gründung des Schweizerischen Bundesstaates. Die sangesfreudigen Männer, Frauen und Töchter durften das – wegen der Einschränkungen der reformierten Kirchenobrigkeiten – vernachlässigte Liedgut wieder pflegen. Die Chöre schlossen sich zu Bezirksverbänden zusammen und begeisterten die Bevölkerung mit ihren Sängerfesten.

Man verstand den Volksgesang als Teil der um sich greifenden Begeisterung für liberale Bewegungen und für ein freies, demokratisches Vaterland. Der Inhalt der damaligen Chorliteratur war dementsprechend patriotisch oder huldigte einer idealisierten Heimat. Fast hundert Jahre später erlebte dieser Liedcharakter einen Aufschwung im Zusammenhang mit der bedrohlichen Situation, in der sich die Schweiz während des Zweiten Weltkriegs befand. Die Chorgemeinschaften wurden zum Symbol für Zusammenhalt, die Lieder zum Ausdruck des Freiheitswunsches und der nationalen Stärke.

Verfasser:  u.a. Thomas Tschudin


Referenzen